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Unter russischer Besatzung – eine ukrainische Stadt und die Angst | DW | 2023

Die Stadt Kupjansk war eine der ersten ukrainischen Orte, die an die russischen Invasoren fielen. Ein halbes Jahr später wurde sie von der Ukraine zurückerobert. In den Ruinen des Ortes stehen die Bewohner vor der Frage nach Schuld und Verstrickung.

Kein Schuss fiel, als die russische Armee Kupjansk besetzte. Der Bürgermeister der 30.000-Seelen-Gemeinde übergab die Stadt einfach an die vorrückenden russischen Truppen. Doch nicht alle Bürger waren mit der Kollaboration einverstanden. Ein beherzter Lokalpolitiker trommelte zum Widerstand und organisierte Proteste unter ukrainischer Flagge. Russland brach die Rebellen mit roher Gewalt. Wer sich gegen die russischen Truppen aussprach drohte, in den Folterkellern der Besatzer zu verschwinden. Bald war der offene Widerstand gebrochen, nur im Verborgenen konnten die Bewohner hier und da noch Zeichen des Widerstands setzen. Währenddessen ging Russland daran, in der Stadt seine Vorstellungen umzusetzen. Die Kleinstadt wurde zum Verwaltungszentrum für die besetzten Gebiete um Charkiw. Die Besatzungsverwaltung gab russische Pässe aus und machte Kupjansk zum Schaufenster des „Russkij Mir“ – was übersetzt „Russische Welt“ oder „Russischer Friede“ bedeuten kann.

Ein halbes Jahr später eroberte die Ukraine den Ort zurück. Die russischen Truppen – zehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt – nehmen Rache, indem sie den Ort fast täglich mit Artillerie beschießen. Viele Bewohner sind inzwischen geflohen. Für die, die geblieben sind, bleibt die Frage: Wie weiterleben mit den Erlebnissen der Besatzungszeit.

Der Film rekonstruiert die Mechanismen der Besatzung mit denen, die sie erlebt haben: Derjenigen, die irgendwann fliehen konnten und derjenigen, die geblieben sind. Zu Wort kommen Einwohner, die kollaboriert haben und solche die heimlich oder offen Widerstand geleistet haben. So zeichnet der Film ein Panorama des Lebens unter der Besatzung und stellt die große Frage nach Schuld und Verstrickung.

Buch: Der Hightech-Gulag. Chinas Verbrechen gegen die Uiguren | C.H. Beck | 2023

Keine andere Region der Welt wird auch nur annähernd so intensiv elektronisch überwacht wie Chinas westliche Provinz Xinjiang. Der Sinologe und Journalist Mathias Bölinger beschreibt, wie dieses System 2017 zusammen mit einem dichten Netz von Lagern installiert wurde. Er erläutert die lange Vorgeschichte der chinesischen Vernichtungskampagne gegen die Uiguren und zeigt, dass die Verfolgung bis heute zwar unsichtbarer, dafür aber umso perfider weiterbesteht. Sein profundes Buch, das auf jahrelanger Recherche in China und vor Ort basiert, ist eine erschütternde Mahnung, im Verhältnis zu China nicht wieder zur Tagesordnung zurückzukehren.

«Sperrt alle ein, die eingesperrt gehören», befahl Parteisekretär Chen Quanguo, als er 2016 von Tibet nach Xinjiang wechselte. «Brecht ihre Wurzeln!» Schätzungsweise ein Zehntel der uigurischen Bevölkerung wurde daraufhin in überfüllten Umerziehungslagern interniert. Allgegenwärtige Kameras zur Gesichtserkennung und Spionage-Apps überwachen jeden Schritt der Bevölkerung – ein Hightech-Gulag. Mathias Bölinger hat zahlreiche Augenzeugen befragt und zeigt an ihren Geschichten und anhand der neuesten Leaks, wie ständige Angst, Festnahmen, Verhöre, psychische und physische Folter die Menschen zermürben. Er erklärt, wie sich das Misstrauen Chinas gegenüber den muslimischen Turkvölkern im Westen vom Kaiserreich über die Kulturrevolution bis zur Ära Xi Jinping in Wellen radikalisiert hat und welche politischen Konstellationen und Ideologien die Unterdrückung befeuern. Der Westen ist schnell mit Verurteilungen zur Stelle, Konsequenzen folgen aber nur zögerlich. Dabei hätten, wie das anschaulich geschriebene Buch zeigt, Politik und Wirtschaft durchaus Hebel in der Hand, um etwas zu bewirken.

Erschienen im Februar 2023

Raus aus Mariupol | Mychailos Fahrt durch den Krieg | DW | 2022

Ein Held ist er für all jene, die er herausgeholt hat aus dem belagerten Mariupol – er habe einfach nicht anders gekonnt, sagt er selbst. Mychailo Puryshev war zu Kriegsbeginn in Kiew, aber der Club, mit dem er bislang sein Geld verdient hat, der sein ganzer Stolz ist, der ist in Mariupol. Ein Ort zum Feiern, Tanzen, den Alltag vergessen – mit mehr als einem Dutzend Mitarbeitern und deren Familien. Die wenigstens will Mychailo retten vor dem russischen Beschuss – und fährt einfach los, mit einem roten Minibus, den er sich eigens dafür gekauft hat. Quer durch die Frontlinien, vorbei an Checkpoints, gerät er dabei immer wieder unter Beschuss – und macht trotzdem weiter, bis es nicht mehr geht. Insgesamt sechs Mal ist er in den letzten Wochen von Kiew nach Mariupol und zurück gefahren, jedesmal kann er Essen und Medikamente hineinbringen in die belagerte Stadt, Menschen nach Kiew mit hinausnehmen. Bislang habe er nicht gewusst, wie man ein Land lieben könne. Jetzt wisse er es, sagt Mychailo – und dass er weiter kämpfen wolle für eine freie Ukraine. Ein Film von Mathias Bölinger.

Kriegsalltag in der Ukraine: Schäfchenwolken im Hinterland | DW | 2022

Unser Korrespondent hat den Beginn des Kriegs in der Ukraine erlebt und ist seitdem in der Hauptstadt Kiew und in anderen Teilen des Landes unterwegs. Eindrücke vom Alltag im Krieg. Von Mathias Bölinger, Kiew.

Ein Erdgeschossfenster in Kiews Hipster-Bezirk Podil. „Glühwein, Kaffee, Tee“, steht auf einer Tafel daneben. Wein ist tabu, das Kriegsrecht verbietet den Verkauf von Alkohol. Aber Kaffee und Tee bietet der Mann weiterhin an. Wir staunen. „Wie schön, dass Sie noch hier sind“, sagen wir leicht ungläubig zu dem Verkäufer.  Der zuckt mit den Schultern. „Natürlich bin ich hier.“ Dabei ist das alles andere als natürlich. Vor dem Krieg war Kiew übersät mit solchen kleinen Kaffeebuden. Jetzt sind sie geschlossen. Der Mann hinter dem Fenster ist ein Vorkriegsrelikt.

Unwirkliche Gleichzeitigkeit

Wenn es etwas gibt an diesem Krieg, das schwer zu begreifen ist, dann ist das die Gleichzeitigkeit von Dingen, die nicht zusammenpassen: Stille und Gewalt, Alltag und Angst. Als die ersten russischen Bomben fielen, war ich gerade im Osten des Landes, im Donbass. Hier wird seit acht Jahren gekämpft. Im Anlauf zur großangelegten Invasion, die Putin plante, eskalierte hier die Gewalt. Dörfer, in denen es trotz des Konflikts jahrelang ruhig geblieben war, wurden plötzlich mit Granaten beschossen. Vielen Menschen war ein Gefühl von drohendem Unheil anzumerken. Weiter

China: Überwachungsstaat oder Zukunftslabor? | ARD | Die Story im Ersten | 2021

China baut ein riesiges digitales Überwachungssystem auf. Beim Staat laufen gigantische Datenmengen zusammen – und die Bürger machen bereitwillig mit. Denn die Angebote sind praktisch – und wer sich an die Regeln hält, wird belohnt. Ein Film von Tamara Anthony, Mathias Bölinger, Svea Eckert und Daniel Satra.

Uiguren in Xinjiang: Ein stiller Genozid? | DW | 2021

Seit Jahren unterdrückt China die ethnische Minderheit der Uiguren in der Provinz Xinjiang. Inzwischen ist daraus auch ein kultureller Krieg geworden, der selbst vor muslimischen Uiguren im Exil nicht Halt macht. Menschenrechtler sprechen von einem Genozid.

Cannabis in China | Produktion unter strengster Überwachung | DW | 2020

Eigentlich ist Cannabis in China illegal. Doch weil CBD, Cannabidiol, als Lifestyle-, Kosmetik- und Medizinprodukt weltweit boomt, können einige Firmen unter strengster Überwachung Cannabis für den Export anbauen. Für die Firmen ein lukratives Geschäft.

 

 

Die Frau des Dissidenten | Li Wenzu gegen den chinesischen Staat | DW | 2020

2015 verschwindet der Menschenrechtsanwalt Wang Quanzhang spurlos. Seine Frau Li Wenzu ahnt, dass er in Haft ist – Gewissheit bekommt sie lange nicht. Doch statt sich einschüchtern zu lassen, macht sie den Fall öffentlich

 

Der Film wurde bei den Human Rights Press Awards 2021 mit einem Merit ausgezeichnet.

Für eine Zukunft in Freiheit | Hongkongs Jugend steht auf | DW | 2019

Zack Ho, 17 Jahre, müsste eigentlich für seine Prüfungen lernen. Aber die Zukunft seiner Stadt Hongkong ist ihm so wichtig, dass er jede Minute auf der Straße verbringt – und mit Hunderttausenden gegen das geplante Auslieferungsgesetz protestiert.

 

 

 

Ein halbes Jahr später haben wir Zack wiedergetroffen. So haben sechs Monate Protest sein Leben verändert: https://p.dw.com/p/3WcEF

Leben mit der Ungewissheit | Flug MH370 | DW | 2019

Vor fünf Jahren verschwand Flug MH370 auf dem Weg nach Peking von den Radarschirmen. Bis heute weiß niemand, was genau passierte und wo sich das Wrack befindet. Jiang Huis Mutter war an Bord. Er kämpft dafür, dass weiter ermittelt wird.